In der Gesellschaft ist die geschlossene Psychiatrie etwas
zu der kaum jemand einen Bezug hat. Nur wenige Menschen wissen, wie es in dieser zugeht. „Da
sind die Komplettverrückten, die fixiert werden müssen, um sich schlagen,
vollgepumpt werden mit Medikamenten und total neben sich stehen“, werden so einige
denken. Auch in Filmen/Serien wird es uns häufig dieses Bild vermittelt.
Ich war selbst in der geschlossenen Psychiatrie und habe
dadurch einige Erkrankungen, Menschen und Umstände kennengelernt. Nun
habe ich einen Bezug dazu und möchte diesen nutzen um Verständnis zu fördern
und der Distanz zu diesem Thema vielleicht ein wenig entgegen zu wirken.
Durch eine Suizidthematik, hatte ich mich schon länger mit
dem Gedanken an die Psychiatrie befasst. Durch manche Dokumentationen bekam ich
einen kleinen Einblick, viele Informationen, die für mich relevant gewesen
wären, fand ich jedoch nicht. Zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl nicht in die
Psychiatrie zu gehören, sozusagen diese intensive Behandlung nicht zu
„verdienen“, dafür würde es mir nicht schlecht genug gehen. Außerdem hatte ich
große Angst vor einer Zwangseinweisung, weil ich glaubte, es wäre für mich unvorstellbar
grausam am Suizid gehindert zu werden und leben zu müssen. Auch die fehlende
Möglichkeit einen stationären Aufenthalt z.B. vor meiner Familie zu verstecken,
war für mich ein Horrorszenario, denn die wenigsten wussten überhaupt von
Depressionen, geschweige denn von Suizidgedanken.
Nun war es dazu gekommen, dass mein Suizid verhindert
wurde. Ich wachte zum ersten Mal auf der Intensivstation auf und schaute an mir
herunter. Ich hatte eine Magensonde in der Nase, einen Tubus im Hals, mehrere
Zugänge und ich war fixiert! Eine Schwester oder Ärztin, ich weiß es nicht, war
über mich gebeugt und erklärte mir, ich sei im Krankenhaus und sei fixiert,
damit ich mir nichts antun könne. Sicher denken jetzt die Meisten, es müsse
grausam gewesen sein so „gefangen“ gewesen zu sein. Schließlich sollen auch ein
Tubus und eine Magensonde schmerzhaft sein, sodass Patienten sich im wachen
Zustand gegen den Tubus wehren. Jedoch war meine Erfahrung anders!
Ich war erst ein wenig verwirrt, aber als die Pflegerin zu
mir sprach, fühlte ich mich tatsächlich gut aufgehoben. Ich habe nicht viel gefühlt
und ich kann mich nur an ein paar Sekunden erinnern in denen ich die Situation
kurz beobachtet und dann „losgelassen“ habe. Ich habe einfach wieder die Augen
zugemach. Danach kann ich mich nicht erinnern weiter fixiert gewesen zu sein,
ich habe mich gegenüber dem Krankenhauspersonal anscheinend ruhig verhalten.
Auch beim Entfernen des Tubus und der Magensonde kann ich mich an kein
negatives Gefühl erinnern, es war eher so als würde ich beobachten, dass ich
unendlich müde war und mich ausruhen durfte. An den Tag (ich wurde nachts eingeliefert)
kann ich mich nur vereinzelnd erinnern. Meine Erinnerungen habe ich erst durch
die Erzählungen meiner Familie bzw. durch meine Unterlagen in zeitlichen
Zusammenhang bringen können.
Aus Schreiben, die ich später erhielt, konnte ich entnehmen,
dass die Fixierung und der gezwungene Aufenthalt auf der Intensivstation
vorläufig vom Gesundheitsamt, aufgrund einer vermutlich schwerwiegenden
depressiven Episode, genehmigt wurde.
Außerdem sprach ich mit einer Psychologin, an welche ich
mich jedoch nicht erinnern kann, die angab, ich sei nicht absprachefähig,
könne mich nicht klar vom Suizid distanzieren und wäre somit weiter
eigengefährdet. Später sprach ich dann mit einem Richter, der die
Zwangseinweisung auf die geschlossene Psychiatrie für 2 Wochen ansetzte. Nachmittags
wurde ich dann in diese verlegt. Dort hatte ich ein Aufnahmegespräch, wobei ich
mich jedoch nur an Ausschnitte erinnere. Meine Familie wurde von der Intensivstation
aus informiert und kam am nächsten Morgen als sie die Information erhielt.
Diese Benachrichtigung ist durch das Gesetz zur Hilfe und Unterbringung
psychisch kranker Menschen (psychKG) auch ohne die Zustimmung des Patienten
möglich.Dieses regelt auch die weiteren Aspekte einer Zwangseinweisung. Ich bekam in die Psychiatrie die Unterlagen zu Mitschriften von
Gesprächen und Entschlüssen geschickt.
Da Wochenende war, sprach ich erst wieder am dritten
Tag, an dem ich wieder klar war, über den Suizidversuch. Meine Stimmung war
völlig entgegen dieser zuvor positiv (aufgrund vieler Aspekte) und ich empfand
es irgendwie als Urlaub von meiner depressiven Symptomatik. Es war befreiend endlich diesen Wunsch nicht
mehr zu verstecken. Nun wusste meine Familie von der Depression und dem Suizidwunsch.
Das Pflegepersonal war freundlich und hilfsbereit, ich empfand es nicht als
menschenunwürdig.
Wie es der Name sagt, kommt man aus einer geschlossenen
Station nicht so einfach raus. Außerdem müssen mitgebrachte Dinge abgegeben bzw.
durchsucht werden. So dürfen die Patienten z.B. keine gefährliche Gegenstände
(z.B. Rasierer, Schere, lange Kabel,…) auf der Station bei sich haben.
Gegebenenfalls dürfen Gegenstände unter Aufsicht genutzt werden. Damit wird
natürlich eine Gefährdung verringert, aber auch vor Triggern wird der Patient
möglichst geschützt. Trigger sind Dinge, die beim Patienten negative Gefühle
bzw. Handlungen verstärken oder auslösen, so gehört hierzu dann auch das
Handy oder blutrüstige Bücher. Zum Schutze des eigenen Besitzes wurde empfohlen , wertvolle Dinge immer bei sich zu tragen oder im Dienstzimmer zum einschließen abzugeben.
Umgangssprachlich wird für eine Station der Begriff „geschlossene
Psychiatrie“ genutzt, jedoch finde ich den medizinischen Namen passender.
Geschützte Psychiatrie! Ich habe mich so einige Male auch eingesperrt gefühlt,
sonst hätte ich dort wahrscheinlich auch nicht hingehört, aber ansich werden
die Patienten geschützt, vor sich selbst und vor anderen. Dort steht man unter
Beobachtung des medizinischen Teams insb. Des Pflegepersonales. Wenn ich nachts
wach war, so wusste das z.B. die Pflegerin am nächsten Tag. Wirkte ich
unmotiviert und lag nur im Bett, so wurde es von dem Pflegepersonal (oder auch
Physio- bzw. ergotherapeuten) an meine Ärztin weitergegeben. Jemand hält ein
Auge auf den Patienten, nicht anklagend oder abwertend, sondern auf eine helfende
Art. So kümmert sich jemand darum, dass du dein Medikament nimmst, dass du zum
Essen kommst oder wirst aus dem Zimmer zu einer Therapie abgeholt.
Psychische Erkrankungen sind natürlich auch im Pflegekontakt manchmal
sehr schwierig und ein Patient kann sich trotz oder gerade wegen der Bemühung
schlecht behandelt fühlen. Im Gesamten jedoch, habe ich bei allen Pflegern, mit
nur wenigen Ausnahmen, das Gefühl gehabt, menschlich behandelt zu werden. Die
Behandlung ist für jeden Patienten individuell angepasst und die kritischen
Behandlungen wie z.B. Fixierung, sedierende Medikamente o.Ä. werden so gering
wie möglich gehalten d.h. nur bei akuter Gefahr angewendet.
Ein wichtiger Bestandteil der Behandlung sind die
Visitegespräche. Diese fanden werktags statt und einmal die Woche in der
größeren Runde als Oberarztvisite. So kam ich an meinem ersten klaren Werktag
gleich zur Oberarztvisite in einen kleinen Raum voller unbekannter
Gesichter. Ein Pfleger war immer dabei, dann manchmal jemand von dem Sozialdienst
und einige Assistenzärzte (Ärzte in der Ausbildung zum Facharzt für
Psychiatrie). Ich hatte zuvor nie mit mehreren Leuten über die Depression
geredet. Nun saß ich vor bestimmt 10 Leuten und sollte Fragen zum Suizidversuch
beantworten. Später auf der offenen Station wurde ich darauf hingewiesen, dass
es auch in kleinerem Kreis möglich wäre dieses heikle Thema zu besprechen. Ich
nehme an, dass dies auf der geschützten Situation nicht der Fall war, da ich
schon beim Aufnahmegespräch sehr trocken darüber sprechen konnte. In
Fachsprache wird dies übrigens als verminderte Affektivität bezeichnet. Ich war
sehr überrascht, wie einfach es für mich war, andere Personen auszublenden. Ich
hätte vorher nicht gedacht, dass ich dieses ohne Probleme könnte.
Auch hätte ich vor meinem
stationären Aufenthalt nie gedacht, dass ich dort freiwillig bleiben und mich
wohler fühlen würde als zuhause. Mir wurde nun so offensichtlich gezeigt, was
ein Suizid mit meinem Umfeld machen würde. Nicht nur meine engsten Bezugspersonen,
sondern auch viele weitere Bekannte oder spätere Mitpatienten waren geschockt und traurig, dass ich
diesen Schritt gehen wollte. Ich wollte es Ihnen nicht antun, als ich nun
wusste was schon der überlebte Versuch für eine Reaktionen auslöste.
Egal wie sehr du glaubst, es würde nichts ausmachen, wenn du
gehst, ich bin mir sicher, dass dies nicht der Fall ist. Es ist nicht egal und
eine Menge Menschen würden dir gerne helfen dein Leben lebenswerter zu machen,
damit du diesen Ausweg nicht wählen musst. Die Möglichkeit, diese Hilfe zu
bekommen, hast du an vielerlei Stellen. Du musst dafür nur einmal ins Internet schauen und schon findest
du Kontaktdaten von psychologischen Beratungsstellen, Seelsorgen oder der
(psychiatrischen) Notaufnahme, die dir Hilfe anbieten. Auch in deinem sozialen Umfeld wirst du Personen finden, die dir helfen möchten, fällt es dir leichter mit jemandem außerhalb deines sozialen Umfeldes zu sprechen, so hast du viele Möglichkeiten.
Ich möchte darauf hinweisen, dass
ich weder Medizinerin oder Psychologin bin, noch irgendeine Art an
medizinischer Ausbildung besitze. Alle von mir hier getroffenen Aussagen über
die psychiatrische/ psychotherapeutische Behandlung ergeben sich aus meinen
persönlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Denkweisen als Patientin. Sie stellen
in keiner Weise Heilversprechen dar. Die Inhalte können keine persönliche
Beratung, eine Untersuchung oder Diagnose durch einen Arzt oder Therapeuten
ersetzen und du solltest meine Information auch nicht dazu nutzen,
Eigendiagnosen zu stellen oder dich selbst zu therapieren!
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